HRiV Presseerklärung Nr. 1/2025

Die Zahl von 56.957 offenen Ermittlungsverfahren (Stand: 31.03.2025) bei der Staatsanwaltschaft Hamburg ist aus Sicht des Hamburgischen Richtervereins ein wiederholtes und nicht mehr zu überhörendes Warnsignal an die Politik. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht von ihrem Rechtsstaat, dass Ermittlungsverfahren zügig durchgeführt und abgeschlossen werden, damit gegen hinreichend tatverdächtige Beschuldigte zeitnah Anklage erhoben werden kann. Neue oder verschärfte Straftatbestände sind sicherlich mitursächlich für den Anstieg der Zahl der offenen Ermittlungsverfahren.
Die kontinuierliche Steigerung der offenen Verfahren von 39.088 (2023) über 47.185 (Stand: 30.09.2024) auf nunmehr 56.957 sowie die Verlängerung der durchschnittlichen Verfahrens-dauer lassen aber auf strukturelle Probleme schließen.
Seit Jahren wird es schwieriger, Bewerberinnen und Bewerber für eine Tätigkeit bei der Staatsanwaltschaft zu gewinnen. Nicht oder erst verspätet nachbesetzte Stellen erhöhen die Arbeitslast der verbliebenen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, was zu einem erhöhten Krankenstand, Kündigungen und vorzeitigen Pensionierungen führt, also letztlich zu noch mehr offenen Stellen.
Daneben ist die Besoldung aus Sicht des Hamburgischen Richtervereins seit Jahren verfassungswidrig zu niedrig. Für die Steigerung der Attraktivität des Berufs der Staatsanwältin und des Staatsanwalts gegenüber den dringend benötigten überdurchschnittlich qualifizierten Be-werberinnen und Bewerber ist eine auch mit Blick auf andere juristische Tätigkeiten wettbewerbsfähige Besoldung notwendig. Ein politischer Wille dazu ist derzeit aber nicht erkennbar.
Hinzu kommt, dass die aufwändige Pilotierung zur Einführung der eAkte enorme Ressourcen in den mittlerweile drei Scanstellen der Staatsanwaltschaft unter Mitwirkung vieler Service-kräfte bindet. Die priorisierte Bearbeitung vorrangiger Haftsachen bedeutet die gleichzeitige Zurückstellung von Tausenden anderer in Papierform zugelieferter Verfahren, insbesondere in der Amtsanwaltschaft und in den Jugendabteilungen, da die Polizei diese Akten bislang nicht elektronisch zuliefert. Die erneute Verlängerung der Bearbeitungszeiten ist dann eine logische Folge.
Bereits im Jahr 2024 wurde die Absicht verkündet, zu ermitteln, wie diese Situation zu Stande gekommen ist. Der Hamburgische Richterverein hat seinerzeit darauf hingewiesen, dass diese Ankündigung von Hilflosigkeit zeuge und sich die Zahl der offenen Ermittlungsverfahren nicht verringern werde. Die Richtigkeit dieser Einschätzung ist durch die nunmehr bekannt gewordenen Zahlen eindrucksvoll bestätigt worden.
Die Vorsitzenden des Hamburgischen Richtervereins, Ariane Abayan und Sebastian Koltze, erklären hierzu:
„Eine gut aufgestellte, funktionierende und unmittelbar reagierende Strafverfolgung ist kein Luxus, sondern gehört zum Kernbereich staatlichen Handelns. Sie verfolgt neben repressiven auch general- und spezialpräventive Aspekte und leistet damit einen unerlässlichen Beitrag zum Schutz der Bevölkerung und zum Vertrauen seiner Bürgerinnen und Bürger in den Rechtsstaat.
Dafür muss die Staatsanwaltschaft Hamburg allerdings auf allen Ebenen personell so ausge-stattet werden, dass sie ihrer Aufgabe in vollem Umfang gerecht werden kann. Dazu gehören
neben einer ausreichenden Anzahl von Stellen für Staats- und Amtsanwälte und Servicekräf-ten auch die schnelle und konsequente Besetzung der geschaffenen Stellen mit qualifiziertem Personal. Die Anhebung von Stellenbewertungen und die Ankündigung von Einstellungsoffen-siven sind zwar zu begrüßen, greifen im Ergebnis aber zu kurz und kommen zu spät, wie die erheblichen Bearbeitungsrückstände bei der Staatsanwaltschaft Hamburg zeigen.
Diese haben ihre Ursache auch in einer verfehlten Personalpolitik, auf die der Hamburgische Richterverein seit Jahren vergeblich aufmerksam macht. Die Kolleginnen und Kollegen bei der Staatsanwaltschaft Hamburg arbeiten am Rande der Belastungsgrenze und oft genug auch darüber hinaus, weil es nicht mehr genug qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber für alle offenen Stellen gibt und immer wieder Kolleginnen und Kollegen wegen der Arbeitsbedingun-gen vorzeitig die Staatsanwaltschaft verlassen. Es bleibt zu hoffen, dass die Politik den erneuten immensen Anstieg der Zahlen als Warnsignal begreift und die bestehenden Vollzugsdefizite endlich angeht. In einem ersten Schritt muss die Besoldung so attraktiv werden, dass sich trotz des Fachkräftemangels und der anstehenden Pensionierungswelle genügend überdurchschnittlich qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber für eine staatsanwaltliche oder richterliche Tätigkeit entscheiden.“