21.04.23

Cannabisgesetz - weiterhin substantielle Änderungen im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens erforderlich

Der Vorstand des Hamburgischen Richtervereins hat sich vor dem Hintergrund der Annahme des Entwurfs eines Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz – CanG) durch den Bundestag am 23. Februar 2024 und dessen voraussichtlicher Beratung in der Bundesratssitzung am 22. März 2024 mit einem offenen Brief an Frau Senatorin Gallina gewandt.


Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus - Putzen der Stolpersteine am 9.11.2023

An das Schicksal der Menschen zu erinnern, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt wurden, ist die Idee der Stolpersteine. Diese quadratischen Tafeln aus Messing sind deutschlandweit in den Bürgersteig vor solche Gebäude gesetzt, in denen Opfer des Nationalsozialismus gewohnt, gearbeitet oder sonst gewirkt haben.

Auch vor dem Ziviljustizgebäude am Sievekingplatz 1 sind 13 Stolpersteine verlegt zur Erinnerung an ehemalige Justizbeschäftigte, die Opfer der Nationalsozialisten wurden. Dort gedachte der Hamburgische Richterverein am 9. November wie schon in den Jahren zuvor dieser Opfer. Dieser Tag, an dem sich die Reichsprogromnacht zum 85. Mal jährte, war Anlass an diese Schicksale zu erinnern. In Gegenwart der Präses der Behörde für Justiz und Verbraucherschutz, Frau Senatorin Gallina, und des Präsidenten des Hanseatischen Oberlandesgerichts Dr. Tully gedachten Beschäftigte der Hamburger Justiz gemeinsam mit Vertretern der Anwaltschaft und einigen Bürgern der Verfolgten.

Der Kollege Dr. Nevermann stellte den Teilnehmern den Richter Franz Daus vor, der von den Nationalsozialisten verfolgt worden war. Daus war von 1925 bis 1933 Richter in der hamburgischen Justiz, zuletzt am Landgericht Hamburg. Nachdem er aufgrund seiner jüdischer Abstammung zwangsweise in den Ruhestand versetzt worden war, gelang ihm 1939 zwar noch die Flucht nach Norwegen. Von dort wurde er nach der deutschen Besetzung jedoch 1942 nach Auschwitz deportiert und da ermordet. An Daus erinnert einer der vor dem Ziviljustizgebäude verlegten Stolpersteine.

Die Anwesenden waren sich einig, dass gerade dieses Jahr das Gedenken an die Opfer eine besondere Bedeutung habe. Denn der Antisemitismus habe in Deutschland mittlerweile wieder eine Intensität angenommen, die lange Zeit kaum vorstellbar gewesen sei. Die Geschichte der damals Verfolgten sei Mahnung für heute.

Anschließend wurden die Stolpersteine gesäubert; eine Tradition, die sich an diesem Gedenktag etabliert hat.

Text: Steffen Brauer


Bericht vom 23. Richter- und Staatsanwaltstag in Weimar

Alexa, ich schreib mein Urteil lieber selbst!

Drei Tage auf dem 23. Deutschen Richter- und Staatsanwaltstag des Deutschen Richterbundes. Drei erkenntnisreiche Tage unter zum Leitthema „Programmiertes Recht – absolute Gerechtigkeit?“. Drei Tage in Weimar auf der Suche nach unserem digitalen Selbstverständnis in der Justiz zwischen Erde und Mond

Von Dr. Martin Hejma, Richter am Arbeitsgericht

 

In Estland gibt es ihn schon, den Robo-Richter. In zivilrechtlichen Streitigkeiten bis 7.000 € Streitwert entscheidet dort künstliche Intelligenz die Fälle. Wer zu einem Richter aus Fleisch und Blut möchte, muss erst Einspruch gegen diese automatisierte Entscheidung einlegen, erklärt Moderator Stephan Detjen vom Deutschlandfunk der verdutzten Zuhörerschaft in der „Weimarhalle“.

„Legal Tech – schöne neue Welt?“ hieß die Einführungsveranstaltung der bisher größten Jahrestagung des Deutschen Richterbundes (DRB) mit über 1.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, dem 23. Deutschen Richter- und Staatsanwaltstag.

Professor Dr. Katharina Zweig oblag es, als erste in großer Runde zu dem Thema zu sprechen. Sie fragte: Kann künstliche Intelligenz (KI) gerecht urteilen? Als Informatikprofessorin an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität vermochte sie es, einen frischen und vor allem interdisziplinären Blick auf das Thema von automatisierten Urteilen zu werfen.

Gut nachvollziehbar leitete sie her, warum zum einen Gerechtigkeitsmaßstäbe, mit denen eine KI gefüttert wird, widersprüchliche Wertungen enthalten und zum anderen, warum fehlende Begründungen ein weiteres Problem bei der Entscheidungsfindung durch KI sind. „Gerechtigkeit kann man nicht lernen, in dem man sich viele Beispiele anschaut.“ fasste sie die Lage zusammen.

Genugtuung im Saal. KI kann es nicht. Und wir schon!

 

15 Jahre Rückstand zu digital modernen Ländern

Sina Dörr, Richterin und Co-Leiterin des Think Tanks „Legal Tech und KI“ beim OLG Köln, schloss an den gelungenen Vortrag von Zweig gleich nahtlos an, sprach die Zuhörerschaft als Kollegin nun direkt an und hinterlegte eindeutige Botschaften:

15 Jahre liege man hinter modernen digitalen europäischen Justiznationen zurück. 15 Jahre. Zurück im Jahr 2008. Anhand des Beispiels von Masseverfahren, bei denen „Repeat-Player“ aus der Anwaltschaft gegen „One Shot Player“ in der Justiz spielten, zeigte Dörr eindrucksvoll auf, wie groß der Handlungsbedarf im Bereich der Digitalisierung der Justiz ist.

Ein ebenso überzeugendes wie engagiertes Plädoyer für eine mutige, digitale Erneuerung der Prozesse in der Justiz. Nötig sei nicht weniger als eine „Mission to the Moon.“ Eine Vision wie sie einst John F. Kennedy umgesetzt habe. Es gehe schließlich um nicht weniger als die Funktionsfähigkeit der Rechtsstaatlichkeit.

 

Buhrufe und Pfiffe beim Thema Online-Verhandlungen

Recht hat sie und dennoch fehlt es wohl nicht nur an einer großen Vision im Bereich der Digitalisierung der Justiz, also dem Mut neu zu denken. Woran es auch fehlen könnte, konnte man gleich am Namen der Folgeveranstaltung, einer Podiumsdiskussion, ablesen: „Alexa, wie lautet mein Urteil?“

Unsere Systeme haben zuvorderst dringenden Nachholbedarf bei sehr irdischen Fragen, wie dem effizienten Umgang mit Meta-Daten oder der einfachen Versendung von E-Akten an andere Gerichte. Alexa ein Urteil schreiben zu lassen? Alisha Andert, Vorsitzende des Deutschen Legal Tech Verbandes brachte es so auf den Punkt: „Es steht schon nicht zur Debatte“. Weder fordere irgendjemand im aktuellen Diskurs automatisiert erstellte Urteile, noch könnten wir sie technisch mit unseren E-Aktensystemen erstellen lassen. „Unsere Diskussion ist auf dem Mond, unsere digitale Realität ist auf dem Boden“, fasste Andert die unbefriedigende Schwerpunktsetzung der Diskussion treffend zusammen.

Dabei ist es keineswegs ein Widerspruch einerseits mit Dörr eine große Vision zu haben und dennoch zunächst ganz irdische Themen anzugehen. Dörr spricht sich dafür aus, zunächst einmal nicht jede computergestützte Anwendung gleich pauschal als KI negativ zu framen. Lieber solle man den Blick darauf konzentrieren, welche konkreten Technologien benötigt werden, um etwa Zuarbeit- und Organisationstätigkeiten in der Justiz mit Hilfe der elektronischen Akte zu erleichtern.

In dieser Weise von einer engagierten Diskussion angeregt, haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer den ersten Tag beim Begrüßungsabend im ehrwürdigen Schießhaus der Stadt Weimar ausklingen lassen. Hier gab sich Marco Buschmann, Bundesminister der Justiz, die Ehre.

Auch er sah sich genötigt, das Offensichtliche sowohl im Grußwort der Tagungsbroschüre als auch in seiner Rede im Schießhaus mehrfach klarzustellen: „In einem humanen Rechtsstaat müssen Gerichtsentscheidungen die Prärogative menschlicher Richter sein.“ Natürlich ist es nicht falsch das wieder und wieder zu betonen. Man kann das Thema dann aber genauso schnell hinter sich lassen und sich den aktuellen Fragen stellen, die die Praxis für Richter- und Staatsanwaltskollegen (und alle anderen Justizbeschäftigten) im Moment bestimmen.

Dafür freilich war das Format am Abendempfang ungeeignet. Buschmann versuchte es dennoch mit einer recht langen und kleinteiligen Rede, deren Tiefpunkt erreicht wurde, als er auf seine sehr weitreichenden Pläne im Bereich der Online-Verhandlungen kam. Man traute seinen Ohren kaum in dieser ansonsten sehr gediegenen Atmosphäre eines festlichen Abendempfangs, aber Buschmann wurde hier wiederholt ausgebuht und ausgepfiffen.

Der zweite Tag bot den Teilnehmer dann mit insgesamt 14 Workshops in vier unterschiedlichen Sälen, den fachlichen Austausch zu verschiedensten Themen auch weit jenseits der Digitalisierung zu vertiefen. Das Rahmenprogramm am Abend sah ein Richterkabarett vor, mit dem zugegeben lustigen Programmnamen „In dubio prosecco.“

Insgesamt war es eine rundherum sehr professionell organisierte Tagung, die inspirierte und ermutigte. Vielleicht hätte man sich neben Katharina Zweig noch weitere Informatiker oder andere interdisziplinäre Experten als Referenten gewünscht und auch kam die Perspektive der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, jedenfalls in den großen Runden, etwas kurz. Sehr gelungen waren demgegenüber die nicht rein fachlichen Programmpunkte mit denen die Tagung ganz zu Beginn und am Ende eingerahmt wurde.

Da wäre zunächst zu Beginn die Verleihung des DRB-Menschenrechtspreises an Maria Lourdes Afiuni zu nennen. Afiuni hatte als Richterin in Venezuela einen Unternehmer nach zweijähriger Untersuchungshaft entlassen und war in einem politischen Prozess selbst zu einer Haftstrafe verurteilt worden. „Eine Heldin des Rechts“, wie der Co-Vorsitzende des DRB, Joachim Lüblinghoff, es auf den Punkt brachte.

Den goldenen Abschluss bildete schließlich die Schlussveranstaltung am Freitagvormittag. Es sprach der S.E. Professor Dres. h.c. Egils Levits, der von Gastgeber Joachim Lüblinghoff als „Steuermann Europas“, eingeführt wurde. Der große Saal war voll, ein Bild das man nicht bei allen Tagungen an Vormittagen von Abreisetagen sieht.

 

14 Workshops an Tag 2 und „Indubio prosecco“

Der amtierende Staatspräsident Lettlands und ehemaliger Richter am EuGH wurde mit Standing Ovations begrüßt und führte die gebannten Zuhörer im großen Saal in einer eindrucksvollen Tour d` Horizont durch die jüngste politische Entwicklung Europas. Dabei stellte er insbesondere die Wichtigkeit der Souveränität der Wertegemeinschaft Europas und die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit heraus.

Am Ende der anschließenden offenen Fragerunde, kam dann noch die Sprache auf den Stand der Digitalisierung der lettischen Justiz. Der wortgewandte Levits erwiderte, Lettland sei bei der Digitalisierung der Justiz eines der führenden Länder Europas. Lettland hätte spät angefangen, dann aber richtig. Die leicht für alle Parteien zugängliche E-Akte sei dabei der Kern dieser Entwicklung. Levits betonte aber auch, Lettland stehe für eine „vernünftige Digitalisierung“ dort wo es Vorteile bringe und ein Verzicht hierauf, wo dies nicht der Fall sei. So sei sein Land sehr zurückhaltend, wenn es um den Einsatz von Software zur Entscheidungsfindung gehe. Kein Robo-Richter in Lettland also.

 

Standing Ovations für den „Steuermann Europas“

Den gibt es übrigens auch nicht in Estland, anders als es Stephan Detjen in der Einführungsveranstaltung behauptet hat. Er ist einem Urban Mythos aufgesessen. Eine einfache Google-Suche zeigt prominent, dass das estnische Justizministerium dies bereits 2021 klargestellt hat.

Sie merken vielleicht schon als Leserin und Leser dieses Berichts, wie einen das Thema des Robo-Richters in der Digitalisierungsdebatte der Justiz wie ein Bumerang verfolgt. Der entsprechende Einstieg in diesen Artikel sollte als eine Art Selbsttest dienen, ob auch Sie sich von dieser Scheindebatte von den eigentlich interessanten Fragen und den naheliegenden Chancen der Justizdigitalisierung „fortframen“ lassen? Bedenken Sie dabei auch, dass wir mit dem automatisierten Mahnverfahren bereits einen automatisierten Weg zu einem vollstreckbaren Titel in unser Justizsystem bereits ganz selbstverständlich eingebaut haben.

Zum Abschluss noch ein letztes Mal zur Klarstellung: Schon die entsprechende KI-Verordnung der EU sieht ein Verbot von Robo-Judges vor. Am Ende des 23. Richter und Staatsanwaltstags in Weimar möchte man diese Frage deshalb bis auf weiteres abhaken, in die Hände spucken, mit Dörr die Vision einer digitalisierten Justiz im Sinne der Bedürfnisse der in der Justiz tätigen Kolleginnen und Kollegen angehen und Teil der anstehenden Mondmission der E-Akte werden.

John F. Kennedy, um mit einem anderen urbanen Mythos zu schließen, soll in den 1960er Jahren bei einer präsidialen Besichtigung in einer NASA-Halle zufällig eine einfache Reinigungskraft getroffen haben. „Was ist Ihre Aufgabe?“ hat er gefragt. „Ich bringe einen Mann auf den Mond“ war die Antwort. That`s the spirit we need.