Sehr geehrte Frau Chyi Chiu!
Ihr Eintrag in das Gästebuch des Hamburgischen Richtervereins hat mich sehr gefreut. Ich habe mir erlaubt, diese meine Antwort hierauf ebenfalls dort zu veröffentlichen, da das Thema möglicherweise von allgemeinem Interesse ist.
Sicherlich haben Sie auch einen Blick in unsere Homepage-Rubrik Kultur/Ausland getan und dort die interessanten Berichte unseres Kollegen Steinmann über Ihr Nachbarland gelesen.
Doch nun zu Ihrer Frage. Der Wechsel als solcher ist nicht geregelt.
Der Richter beginnt seine Laufbahn in einer der verschiedenen Gerichtszweige,
nämlich ordentliche Gerichtsbarkeit, Verwaltungs-, Arbeits-, Sozial-
oder Finanzgerichtsbarkeit. Er bleibt - von wenigen Ausnahmen abgesehen
- für immer in dem jeweiligen Gerichtszweig; das liegt nicht an bösem
Willen einer Institution, sondern in der Regel am mangelnden Wechselwillen
der Richter und das hat seinen guten Grund, denn jeder Gerichtszweig hat
seine fachlichen Besonderheiten und erfordert jeweils unterschiedliche
hohe Spezialkenntnisse.
Innerhalb des jeweiligen Gerichtszweigs gibt es jedoch genug Möglichkeiten für Wechsel. Das gilt besonderes für die Ordentliche Gerichtsbarkeit, die die von Ihnen genannten Gerichte umfaßt: Amtsgericht, Landgericht und Oberlandesgericht, jeweils als Straf- oder Zivilgericht.
Die Praxis des Wechsels ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich;
ein spezielles Gesetz gibt es dafür nicht.
In Bayern zum Beispiel durchläuft der Berufsanfänger (Richter
auf Probe) möglichst viele unterschiedliche Gerichtsstationen: Amtsgericht,
Landgericht, Staatsanwaltschaft. Er wird in jeder dieser Stationen möglichst
viel "herumgeschickt" und lernt so sehr viel kennen.
Anders in Hamburg: der Berufsanfänger bleibt in der Regel bei
der Gerichtsinstanz, bei der er anfängt, also entweder Amtsgericht
oder Landgericht. Innerhalb dieses Gerichts ist fast jeder Richter sowohl
im Strafrecht als auch im Zivilrecht tätig gewesen.
Die unterschiedlichen Praktiken von Hamburg und Bayern haben beide
jeweils ihre Vor- und Nachteile.
Während der Probezeit (in der Regel 3 Jahre) hat der Richter keinen
Anspruch darauf, eine bestimmte Stelle zu behalten, sondern kann vom Gerichtspräsidenten
fast beliebig eingesetzt werden (vgl. § 13 Deutsches Richtergesetz
- DRiG: "Ein Richter auf Probe kann ohne seine Zustimmung nur bei einem
Gericht, bei einer Behörde der Gerichtsverwaltung oder bei einer Staatsanwaltschaft
verwendet werden"). Nach der Probezeit ist das anders: dann darf der Richter
nur noch unter ganz engen Voraussetzungen versetzt werden (siehe §§
30 bis 32 DRiG. Das DRiG gibt es im Internet bei
http://www.bundesrecht.de/StudJur/MWO/MWonline.py/Text?uid:string=5159516351555963515963555559555555515151595163595559&bh:int=1&anz:long=10&sd:long=7032&if:string=inhalt&tf:string=text
; sollte der Link nicht klappen, so geben Sie die Adresse bis .de ein und
suchen dann nach dem Gesetz).
Das Vorstehende betrifft allerdings nur die Versetzung, also den Wechsel von einem Gericht zu einem anderen Gericht und nicht den Wechsel innerhalb eines Gerichts. Da zum Beispiel das Amtsgericht als ein Gericht sowohl Straf- als auch Zivilabteilungen hat, ist der Wechsel vom Straf- zum Zivilgericht keine Versetzung.
Innerhalb jedes Gerichts gibt es jedoch eine andere Form der Beschränkung von Wechsel gegen den Willen der Richter: den Geschäftsverteilungsplan (geregelt in § 21e Gerichtsverfassungsgesetz - GVG; http://www.compuserve.de/bc_recht/gesetze/gvg/index.html).
Da der Geschäftsverteilungsplan jährlich aufzustellen ist,
ist die Erforderlichkeit eines Wechsels gegen den Richterwillen während
eines laufenden Jahres nur sehr schwer zu begründen.
Ein aktuelles Beispiel in Hamburg, wie durch Änderung des Geschäftsverteilungsplans
ein unliebsamer Strafrichter (der Kollege Schill) gerade jetzt zum neuen
Geschäftsplanjahr 2000 gegen seinen Willen in eine Zivilabteilung
"gesteckt" wird, hat für große Aufregung auch in der Presse
gesorgt. Die entsprechenden Presseartikel von Mitte November sind auf der
1. Seite von www.richterverein.de verlinkt, werden aber bald von der 1.
Seite verschoben in die Rubrik Aktuelles/Presse.
Bislang beschrieb ich nur Wechsel gegen den Richterwillen. Derartige Fälle sind jedoch nicht die Regel. Die Regel ist, dass der Richter davon überzeugt werden kann, dass ein Wechsel ihm selbst zugute kommt oder dass ein Wechsel um das Wohl des Gerichts willen erforderlich ist. Oft kommen Wechselwünsche sogar von den Richtern selbst. So habe zum Beispiel ich selbst mich gerade für ein Jahr vom Landgericht zum Amtsgericht abordnen lassen; 2 Wochen nach Äußerung meines Wunsches war ich am gewünschten Ort.
Darüber hinaus gibt es regelmäßig im Alter zwischen
40 und 50 Jahren folgenden Wechsel: Zur Prüfung, ob ein Kollege für
eine Beförderung in ein höheres Amt geeignet ist, wird der Kollege
für ein halbes Jahr zum Oberlandesgericht abgeordnet. Für diesen
begrenzten Zeitraum versieht er dort richterliche Tätigkeit und wird
diesbezüglich beurteilt. Anschließend geht er zu seinem Ausgangsgericht
zurück und wartet dort, ob er befördert wird. (
Vgl. kritisch Franke)
Wird er befördert, so ist dies nicht mit einem Wechsel des Gerichts
gleichzusetzen: sowohl am Amts- als auch am Landgericht kann man auch innerhalb
des Gerichts einmal befördert werden. Erst bei der nächsten Beförderung
(krasse Ausnahme) müßte/dürfte der Kollege zum Oberlandesgericht.
Gelegentlich finden auch Abordnungen (vorübergehende Wechsel) zum Beispiel in das Landes- oder Bundesjustizministerium, zum Bundesgerichtshof, zum Bundesverfassungsgericht oder in parlamentarische Untersuchungsausschüsse statt.
In der Hoffnung, Ihnen etwas behilflich gewesen sein zu können,
Wolfgang Hirth